Der Prager Schriftsteller und Versicherungsbeamte Franz Kafka hat in beispiellos eigensinniger und zugleich perfekter Weise die Sprache zum Medium der Selbstentfaltung gemacht. Das ist unstrittig. Wie aber konnte ein sozial so unscheinbarer Mensch eine kulturelle Schockwelle auslösen, deren Echos bis heute weltweit vernehmbar sind? Auch ein Dreivierteljahrhundert nach seinem Tod hat noch kein Biograph sich dieser Frage gestellt. Zu erklären, wie aus einem Bewusstsein, dem alles zu denken gibt, ein Bewusstsein werden konnte, das allen zu denken gab: Das ist die Aufgabe.
1910 bis 1915: Dies sind die Jahre, in denen sich der junge, ungebundene, beeinflussbare Kafka verwandelt in den verantwortungsbewussten Beamten und zugleich in den Meister des präzisen Alptraums und des 'kafkaesken' Humors. In kürzester Frist entstehen 'Das Urteil', 'Die Verwandlung', 'Der Verschollene' und 'Der Process', und in rascher Folge werden alle Weichen gestellt, die Kafkas weiteren Weg bis zum Ende bestimmen werden: die Begegnung mit dem religiösen Judentum, die ersten Schritte in die Öffentlichkeit, die Katastrophe des Kriegsausbruchs und vor allem die verzweifelt umkämpfte und dann doch scheiternde Beziehung zu Felice Bauer. Es sind Jahre beispielloser Intensität: das Zentrum von Kafkas Existenz. Stachs Schilderung ist atmosphärisch dicht und bietet Panoramablicke über Kafkas Welt ebenso wie Nahaufnahmen aus seinem Alltag, wobei auch neueste, bisher unveröffentlichte Forschungsergebnisse aufgenommen werden. Die bildhafte Erzählweise, die den Leser alle Entscheidungssitu ationen fast filmisch miterleben lässt, setzt neue Maßstäbe in der deutschsprachigen Biographik.
Autorenportrait:
Reiner Stach, geboren 1951 in Rochlitz (Sachsen), studierte Philosophie, Literaturwissenschaft und Mathematik. Für mehrere große Verlage arbeitete er als Wissenschaftslektor und als Herausgeber von Sachbüchern. 1987 erschien seine Monographie 'Kafkas erotischer Mythos' im Fischer Taschenbuch Verlag. In verschiedenen Zeitschriften veröffentlichte Stach grundlegende Essays zu Franz Kafka, unter anderem in der 'Neuen Rundschau' (Berlin) und in der 'Revista de libros' (Madrid). 1999 gestaltete Stach die Ausstellung 'Kafkas Braut', in der er den Nachlass Felice Bauers präsentierte, den er in den USA entdeckt hatte. Die Ausstellung wurde unter anderem in Frankfurt, Wien und Prag gezeigt.