Wie findet man das Glück und die Liebe in dieser Welt voller Bosheit, Grausamkeit und Ungerechtigkeit? Voltaires naiver und unbedarfter Held Candide, dem man beigebracht hat, alles auf Erden sei gut und vollkommen, stolpert auf seiner irrwitzigen Reise durch zwei Kontinente von einer Katastrophe in die nächste. Nur im sagenhaften Land Eldorado mit seinem unermeßlichen Reichtum und seinen friedfertigen Bewohnern, die auf roten Schafen reiten und weder Kriege noch Religionsstreitigkeiten kennen, scheint sein Ideal von der besten aller Welten verwirklicht. Doch kaum ist er zurück in Europa, folgt die Ernüchterung: Sein reines Herz, seine unschuldige Liebe und seine Gutgläubigkeit dienen seinen Mitmenschen nur dazu, ihn zu betrügen und auszubeuten. Und doch begegnet ihm am Ende auf einem kleinen Bauernhof ein bescheidenes
Glück – mit einem der berühmtesten Sätze der Weltliteratur: »Wir müssen unseren Garten bestellen.«
Voltaires satirischer Roman »Candide ou l'optimisme«, der schon kurz nach seinem Erscheinen verboten und öffentlich verbrannt wurde, steckt voller Komik und bitterem Witz, und er enthält auch nicht wenige erotische Anspielungen. Auch für uns heutige Leser dürfte der Text überaus aktuell sein – in einer Zeit, in der es wieder notwendig ist, an die Ideen der Aufklärung zu erinnern. Die Neuübersetzung von Tobias Roth und Klaus Ensikats aquarellierte Federzeichnungen machen das Buch zu einem besonderen Lesevergnügen., Der »Candide« von Voltaire ist ein Buch ohne Alter. Immer wieder erstaunt es, wie sehr die Probleme verschiedener Epochen einander ähneln, und wie ein hellsichtiger Text seine Leser über Jahrhunderte hinweg stets aufs neue berühren, zum Nachdenken auffordern und zum Lachen bringen kann. Vor allem ist es der hintergründige und bitterböse Humor Voltaires, mit dem er das Denken und Handeln seiner Zeitgenossen bloßstellt. Manche dieser Angriffe, etwa gegen die
Adelsherrschaft, die Macht des Klerus oder die Sklaverei mögen aus heutigem Blickwinkel vielleicht weniger aktuell erscheinen. Doch gleichzeitig hält Voltaire auch den gegenwärtigen Lesern seinen satirischen Spiegel vor, darunter unseren Politikern, den Wirtschaftseliten, Militaristen, den selbsternannten Welterklärern, religiösen Fanatikern und populistischen
Scharfmachern, und alles das mit einer temporeichen, trockenen und lakonischen Sprache. Doch hinter jeder Zeile verbirgt sich sowohl sein spöttisches Lächeln als auch seine Verbitterung über den Zustand dieser Welt. Gerade daraus ergibt sich aus heutiger Sicht die Modernität und Zeitlosigkeit der Erzählung. Auch in unserer Zeit, in der immer noch Religionskriege geführt werden, in der Menschen im Zeichen der Globalisierung immer noch für ökonomische Interessen ausgebeutet
und mißhandelt werden, und in der Politiker tatsächlich behaupten, die Ideen der Aufklärung wie Presse-, Meinungs- oder Religionsfreiheit seien heute »überholt«, müssen wir Voltaire unbedingt wieder lesen.